Bevor mit dem 1. Advent das neue Kirchenjahr beginnt und wir die Erwartung Gottes in unserer Welt feiern, richten die Sonntage zum Ende dieses Kirchenjahres den Blick auf die Vergänglichkeit der Schöpfung und die letzten Tage. Im Markusevangelium (Mk 13, 24-32) spricht Jesus davon, dass nach einer Zeit der Drangsal eine Finsternis eintreten werde – die Sonne werde Dunkel, der Mond nicht mehr scheinen und die Sterne vom Himmel fallen. Dann sei seine Zeit der Rückkehr gekommen, in der die Auserwählten aus der ganzen Welt zusammengeführt würden, „vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels“. Im Markus-, Lukas- und Matthäusevangelium richtet sich der Blick vor der Schilderung des Leidens, Sterbens und Auferstehens immer auf eine Endzeit, besonders ausgebreitet in der Endzeitrede im Matthäusevangelium. Die Endzeit wird durch eine endzeitliche Not, die im heutigen Text als „Drangsal“ beschrieben wird und mit Bildern der Finsternis verstärkt wird, charakterisiert. Während bei Lukas und Matthäus die Ankündigung eines Gerichts eine große Rolle spielt, fokussiert Markus den Blick auf die Wachsamkeit, denn „jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater.“ Leider spart die Leseordnung den folgenden Satz aus, der zusammenfasst: „Gebt Acht und bleibt wach!“ Es wird eine gewisse Spannung aufgebaut: Einerseits wird der Zeitpunkt als nah beschrieben, andererseits aber auch als unbekannt. Denn Jesus spricht in einem Vergleich mit einem Feigenbaum davon, dass es durchaus Zeichen geben werde, die zeigen werden, „dass er nahe vor der Tür ist.“
Wachsam sein und die Zeichen der Zeit erkennen: Das ist der zentrale Auftrag des Auftretens Jesu vor einem Leiden und Sterben, das ist praktisch die Quintessenz des ganzen Wirkens in Galiläa, welches das Markusevangelium bis hierher beschreibt.
Die ersten Jünger gingen davon aus, dass Jesus tatsächlich noch zu ihren Lebzeiten zurückkehren würde. Im Vers 30 heißt es ja auch: „Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles geschieht.“ Offensichtlich lässt aber die Wiederkunft des Herrn noch länger auf sich warten, was dann auch die Christinnen und Christen der zweiten und dritten Generation einsehen mussten – davon zeugen die späteren Briefe des Neuen Testaments. Doch die Haltungen sind auch heute essenziell für christliches Leben: Wachsam sein und die Zeichen der Zeit erkennen. Man kann das auch mit dem eingangs erwähnten Begriff beschreiben: Adventlich leben – also in ständiger Erwartung, dass Jesus kommt. Man muss dafür vielleicht nicht ständig auf gepackten Koffern sitzen, aber es ist sicher von Vorteil, keine zu lange To-Do-Liste zu haben, nicht irdischen Gütern verfallen zu sein oder sich so manchem Laster hinzugeben. Der Ausspruch „Betet ohne Unterlass“ im 1. Thessalonicherbrief kann diese Haltung verstärken: Eine Haltung der Gottesnähe einzunehmen, in Kontakt mit Gott bleiben und sein Wirken in dieser Welt erkennen. So wie schon Jakob in Gen 28 überrascht feststellen muss: „Wirklich, der Herr ist an diesem Ort und ich wusste es nicht“, so sind auch wir gerufen, Gottes Wirken in dieser Welt auch an überraschenden Orten zu entdecken und aufzudecken. Die Zeichen der Zeit erkennen: Das ist eine Einladung, in dieser adventlichen Haltung der steten Erwartung Gott zu suchen und zu erkennen.
So wünsche ich auch Ihnen den Mut zu einer solchen wachen und adventlichen Haltung, die auf das Wesentliche fokussiert bleibt und offen dafür ist, dass Gott auch dort wirkt, wo ich es nicht erwarte; dass Gott auch auf eine Weise wirkt, die ich nicht erwarte. Bleibt wach: Für das, was Gott heute sagt und wo sein Geist heute wirkt.
Einen frohen Sonntag! – Ihr Jonas Borgwardt